Sie war zweifellos eine der bedeutendsten Naturwissenschaftlerinnen ihrer Zeit, trotzdem wird ihr Name heute nur noch mit Voltaire verbunden. Constanze Baumann porträtiert in der ersten Folge von Zurück ins Rampenlicht das außergewöhnliche Leben und Schaffen der Émilie du Châtelet.
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Émilie wird im Winter 1706 in Paris in ein hocharistokratisches Milieu geboren, was ihr den Zugang zu einer breitgefächerten Bildung ermöglicht. Sie erhält nicht nur eine typische „Frauenbildung“, wie es zu dieser Zeit in adeligen Kreisen üblich ist, sondern hat Zugang zur exakt gleichen Ausbildung wie ihre fünf Brüder. Ihre Eltern erkennen schnell ihren überdurchschnittlichen Intellekt und setzen alles daran, ihre Tochter bestmöglich zu fördern. Entgegen der gesellschaftlichen Konventionen wird Émilie dabei unterstützt, ihren unersättlichen Wissensdurst zu stillen. Eine derart umfassende Bildung ist nach der Rollenverteilung, in die Frauen im 18. Jahrhundert gezwungen werden, sehr selten. Sie wird im Fechten und im Reitsport ausgebildet, lernt Singen, Tanzen, Theaterspielen sowie zahlreiche Sprachen. Außerdem wird sie von exzellenten Lehrern in Mathematik, Literatur und Naturwissenschaften unterrichtet.
Unermüdliche Forschungen
Mit 19 Jahren wird Émilie an einen doppelt so alten Marquis verheiratet. Nachdem sie drei Kinder geboren hat, gibt sie sich erneut ihren wissenschaftlichen Interessen hin und unterhält zahlreiche außereheliche Beziehungen. So befreit sie sich ein Stück weit aus der ihr zugeschriebenen gesellschaftlichen Rolle und beansprucht ihre Selbstbestimmung zurück. In den Pariser Gesellschaften lernt sie schließlich auch den Philosophen und Schriftsteller Voltaire kennen, zu dem sie rasch eine Liebesbeziehung entwickelt.
Das Schloss Cirey in der Champagne wird für du Châtelet und Voltaire zu einem gemeinsamen Rückzugsort. Hier führen sie von früh bis spät physikalische Experimente durch und erörtern stundenlang wissenschaftliche Themen. Aus ihrer kollektiven Forschungsarbeit geht das Werk Éléments de la philosophie de Newton hervor, welches die Erkenntnisse Isaac Newtons – der bis dato in Frankreich kaum bekannt ist – einem breiten Publikum verständlich darlegt. Der Text ist zwar aus der Feder Voltaires, die Gedankenarbeit aber stammt hauptsächlich von du Châtelet. Voltaire soll angeblich selbst gesagt haben, dass sie ihm den ganzen Text diktiert und er ihn lediglich aufgeschrieben habe. Trotzdem gibt Voltaire am Ende nur sich selbst als Autor an. Ihren Namen erwähnt er einzig im Vorwort und bildet sie zu allem Überfluss auch noch mit halbnacktem Oberkörper auf dem Cover des Buches ab.
Du Châtelet forscht nichtsdestotrotz unablässig weiter. In den folgenden Jahren beschäftigt sie sich erneut mit Newtons Arbeit und überträgt das Hauptwerk des Physikers, die Principia Mathematica, aus dem Lateinischen ins Französische. Sie übersetzt dabei nicht nur im wörtlichen Sinne, sondern kommentiert Newtons Theorien und überführt diese in die mathematische Sprache der Infinitesimalrechnung des Philosophen und Mathematikers Gottfried Wilhelm Leibniz. Dadurch trägt sie maßgeblich dazu bei, dass die Theorien von Leibniz und Newton in ganz Europa popularisiert werden, was darauffolgende Forschungsergebnisse überhaupt erst ermöglicht. Zudem zeigt sie, dass sich die bisher konträr gedachten Konzepte Newtons und Leibniz’ gegenseitig ergänzen können. In ihrem monumentalen Werk Institutions Physiques vereint sie die Physik Newtons und die Metaphysik von Leibniz ein weiteres Mal.
Als Frau in einer Männergesellschaft
1749 stirbt du Châtelet mit nur 43 Jahren in Lunéville. Ihre Arbeit wird zunächst fast vollkommen verdrängt. So werden nach ihrem Tod beispielsweise ganze Passagen von ihr in der berühmten Encyclopédie abgedruckt, ohne sie dabei als eigentliche Urheberin anzugeben. Erst in jüngster Zeit wird ihr Name rehabilitiert und ihr Verdienst in den Wissenschaften anerkannt. Es ist ihr zu verdanken, dass die Erkenntnisse von Newton und Leibniz in ganz Europa verbreitet wurden. Da sie als Frau damals nie ernst genommen worden wäre, musste sie stets anonym publizieren. Der Ruhm, der ihren männlichen Wegbegleitern vergönnt war, blieb ihr aufgrund ihres Geschlechts deshalb zeitlebens stets verwehrt. In ihrer Rede über das Glück stellt sie genau das fest: Männer können sich auf verschiedensten Wegen selbstverwirklichen und dadurch glücklich werden, während Frauen von diesen Möglichkeiten komplett ausgeschlossen werden.