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Türkisch für Muttersprachler

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Es heißt, Sprachen erlernen eröffnet uns den Zugang zu neuen Kulturen. Was aber, wenn es sich bei der vermeintlich unbekannten Kultur um die der eigenen Eltern handelt? FU-Studentin Aylina erzählt, was es bedeutet, eine Sprache zu (v)erlernen.

Foto: Ole Meckenstock

Wer eine Fremdsprache beherrscht, wird vermutlich schon bemerkt haben, dass die eigenen Sprachfertigkeiten ohne regelmäßige Verwendung schnell nachlassen. Dieses frustrierende Gefühl kennt Aylina nur zu gut. Als Kind lernt sie zunächst Türkisch, die Muttersprache ihres Vaters, die er mit ihr spricht. Später hört er jedoch damit auf, um ihr den Erwerb der englischen Sprache zu ermöglichen. „Ihm war es unglaublich wichtig, weil er dachte, dass Englisch mir eines Tages bessere berufliche Perspektiven eröffnen wird. Um mich nicht zu überfordern, hat er aufgehört, Türkisch mit mir zu sprechen“, schildert Aylina. Über die Jahre rosten ihre Türkischkenntnisse so sehr ein, dass sie die Sprache verlernt. Heute ärgert sich Aylina darüber. Sie sagt, es hätte ihr viel gebracht, Türkisch zu lernen.

Sprachbarrieren und kultureller Verlust

Auch ihren Vater frustriert es, dass er seine Muttersprache nicht an die eigene Tochter weitergeben konnte. Ihn kränkt, dass die Beziehung von Aylina und ihren türkischen Großeltern unter einer Sprachbarriere leidet. „Ich kann mich kaum mit ihnen unterhalten, was zur Folge hat, dass unser Verhältnis weniger tiefgründig ist und ich sie seltener sehe als meine deutsche Oma“, bedauert Aylina. Von Seiten ihrer Verwandtschaft sieht sich Aylina daher mit der Erwartung konfrontiert, Türkisch zu lernen. „Das wurde mir schon immer gesagt“, betont sie. „Man wird innerhalb der türkischen Community anders behandelt, wenn man Türkisch spricht.“

Das Nicht-Weitergeben einer Muttersprache ist für Aylina Teil eines Identitätsverlusts, der auch das eigene Heimatgefühl beeinflussen kann. Ihre türkische Herkunft betrachtet sie dennoch als wichtigen Teil ihrer Identität. „Ich sage meistens direkt, dass ich Türkin bin, vielleicht auch weil man es mir nicht ansieht“, erklärt sie. Dafür fehle es ihr allerdings an kulturellem Verständnis und Werten, die ihr zusammen mit der türkischen Sprache genommen wurden. Eine Präferenz für die türkische Kultur hat Aylina dennoch. Sie mutmaßt, dass das auch an ihrem Umfeld liegt. Sie ist im Berliner Stadtteil Wedding aufgewachsen.

Ein beschwerlicher Weg

Aktuell besucht Aylina bereits ihren dritten Türkischkurs am Sprachenzentrum der FU. Sie möchte die Muttersprache ihres Vaters nachträglich lernen – aus eigener Motivation. Leistungspunkte für ihr Studium bekommt sie dafür nicht. Ihr Umfeld spielt bei dieser Entscheidung allerdings schon eine Rolle, auch wenn sie es nur teilweise eingeweiht hat: „Mein Vater hat sehr positiv reagiert und sofort seine Unterstützung angeboten. Dem Hauptteil meiner Familie habe ich es aber nicht erzählt, um hohe Erwartungen und Druck zu vermeiden.“

Trotz ihrer Vorgeschichte ist das Lernen für sie mühsam und mit Momenten der Frustration verbunden. Doch für Aylina ist das keine Ausrede. Ihr ist es wichtig, dass sie die Muttersprache ihres Vaters beherrscht. Sie erzählt, dass sie nun überlegt, ihre Familie in der Türkei für eine Weile zu besuchen – mit ihren Türkischkenntnissen im Gepäck.


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