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Channel: FURIOS Online – Campusmagazin an der FU Berlin
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FU Tag und Nacht

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Bei Tageslicht kennen wir die FU. Aber was für ein Ort ist sie zwischen 22 und 7 Uhr, nachdem die letzten Studis die Bib verlassen haben und bevor morgens die ersten wiederkommen? Zwei unerschrockene FURIOSlerinnen beschließen, eine Nacht in der RoSi zu verbringen.

21:46 Uhr Vom Dach sieht die Uni ganz anders aus. Wir sehen die Bäume aus den Innenhöfen ragen und bekommen ein ganz anderes geografisches Verhältnis zu den Orten, die wir so gut zu kennen glaubten. Die K-Straße ist von oben auf jeden Fall hübscher als von unten.

22:00 Uhr Wir haben einen Weggefährten gewonnen, einen Studi, der auch zu dieser späten Stunde noch an der Uni ist. An irgendeinem Punkt hat er entschieden, zu bleiben. Ein Segen für unsere Mission, wie sich später herausstellt.

22:07 Uhr Wir beobachten einen Secu1 beim In-den-Innenhof-Pissen.

22:10 Uhr Das Brain2 geht aus  – gut, dass wir noch ein Foto mit Beleuchtung bekommen haben.

23:30 Uhr  Zeit für einen Spaziergang. Wir stillen unseren Hunger nach Nikotin und frischer Luft auf einer Dachterrasse im zweiten Stock. Die Tür hat dankenswerterweise keinen Alarm und ist die ganze Nacht offen.

23:40 Uhr Die Campusbib sieht seltsam aus bei Nacht: einsame Tische, Stühle und leere Gänge voller ungesehener Ausstellungsstücke.

23:58 Uhr In der Psychologie wird Yogi Tee getrunken.

00:03 Uhr Es ist erstaunlich, wie viele Ecken der Uni wir noch nie gesehen haben. Dabei sind manche von uns seit Jahren hier. Wenn mensch tagsüber zwischen Veranstaltungen hindurch huscht, fallen Details wie die Postkarten und kleine Notizen an den Türen kaum auf. Dabei gibt es im ersten Stock der L-Straße mit seinen Verwinklungen und breiten Fenstern wirklich viel zu entdecken.

00:09 Uhr Wir haben scheinbar einen Alarm in der J-Straße ausgelöst – Rückzug!

00:15 Uhr Zeitvertreib mit Kreuzworträtseln – what the fuck ist ein altrömischer Stadtpolizist mit fünf Buchstaben3?!

01:00 Uhr Die Klospülung hat uns verraten. Laute Männerstimmen. Dann Stille. Wir wagen uns aus dem Bad und spähen in den Flur. Zwei Gestalten. Taschenlampen. Zusammen zwängen wir uns zurück in eine Klokabine. Herzklopfen. Panischer Blickaustausch. Dann wird unsere Kabinentür aufgerissen: »Was macht ihr hier?«

01:10 Uhr »Ich lass euch hier raus, nicht bei den Kollegen vorbei«, sagt der nette, aber resolute Secu und informiert uns über die korrekten Öffnungszeiten. Zwei raus, bleibt nur noch der dazu gestoßene Weggefährte.

01:14 Uhr  Ich rufe meine Genossinnen aus dem Versteck an. Wir beschließen, dass ich bleibe und mich damit offiziell der Mission anschließe. Ich habe Ladekabel, Decke und Wasserflasche dabei und bin bereit, hier zu übernachten. Aber Moment – ich habe keine Kontaktlinsen, außer denen, die ich gerade seit fast 16 Stunden trage. Eine große Herausforderung, aber hey, wenn keine größeren Probleme auftauchen, wird alles okay sein.

02:01 Uhr Die Anderen hatten als Midnight Snack Ben & Jerry’s eingekauft; jetzt bleibt mehr für mich. Ich kontempliere beim Essen die Absurdität des privaten Eigentums – was ist denn eine Universität, und warum kann sie bestimmen, wo ich mich auf dieser Erde aufhalten darf? Das Eis ist mir ein bisschen zu süß, erinnert mich aber an meine Kindheit, diese verlorene Zeit, in der nichts zu zuckrig schmecken konnte und kein Ort langweilig war. Und jetzt sitze ich hier in der dunklen Uni und langweile mich. Was wir alles verlieren, wenn wir groß werden!

02:08 Uhr Seitdem ich der einzige Verbliebene bin, traue ich mich nicht mehr, mein Versteck zu verlassen. Ich versuche, meinen Standort innerhalb der Rost- und Silberlaube zu visualisieren. Bin ich in der L- oder in der J-Straße? Ich bekomme Kopfschmerzen und höre auf, so angestrengt nachzudenken. Manchmal ist es auch schön, alleine in einem dunklen Raum zu sitzen. Ich denke an die Secus, die sicherlich noch irgendwo im Haus herum patrouillieren. Hatten sie Angst, als sie meine Genossinnen gehört haben?

02:20 Uhr Ich habe Hunger und finde eine Packung Ramennudeln mit Entengeschmack. Gottgegeben. Irgendwo muss es doch eine Schüssel geben? Anscheinend nicht. Eine Vase? Manchmal muss mensch mit dem arbeiten, was mensch hat. Oder eben in der offenen Teeküche auftreibt.

02:40 Uhr Meine erwischten Genossinnen haben Drehzeug hier gelassen. Ich brauche jetzt dringend eine Kippe – das einzige Problem ist, dass ich nicht rauche. Ich brauche 20 Minuten und drei Versuche, um meine erste rauchbare Zigarette zu drehen. Ein kleines Geschenk für meine Mitstreiterinnen, falls sie morgen früh tatsächlich wieder erscheinen.

03:00 Uhr Einschlafen.

05:20 Uhr Ich wache auf, es ist hell draußen. Ich schätze die Zeit und vertue mich um zwei Stunden.

05:23 Uhr Die Jalousien gehen von alleine auf, ich kriege einen Schreck und versuche, mich zu verstecken. Dann denke ich, dass gerade wahrscheinlich alle Jalousien im Haus aufgehen, und nicht nur diejenigen, die mich bis jetzt unsichtbar gehalten haben.

05:36 Uhr Ich höre einen Aufzug hoch- und wieder runterfahren. Die Putzkolonne trifft ein, langsame Staubsauger-Wägen, die sich ihren Weg die K-Straße herunter bahnen. Sie erinnern mich irgendwie an Star Wars in ihrer unaufhaltsamen, mächtigen Trägheit. AT-AT Imperial Walker. Allmählich schlafe ich wieder ein.

07:32 Uhr Wieder wach. Ich koche Kaffee und bin kurz davor, mit meiner Gitarre auf die Terrasse zu gehen, als ich den Türgriff drehen höre. Ist das eine Halluzination? Gab es eine versteckte Kamera, werde ich jetzt exmatrikuliert? Dann sehe ich das Gesicht einer gefallenen Genossin der letzten Nacht, die nach dem vierstündigen Schlaf zu unserem Lager zurückgekehrt ist. Fünf Minuten später kommt die andere. Die Nacht hat uns getrennt, der Tag wieder vereint.

07:38 Uhr Die Sonne klettert über das Chemiegebäude und wir trinken Kaffee. Es fühlt sich an, als hätten wir gewonnen, die Nacht besiegt, die Mission erfüllt. Teameffort. Angenehm, wieder durch die Uni zu laufen, ohne bei jedem Geräusch zusammenzuzucken. Noch sind kaum Studierende hier, obwohl es mehr sind als gedacht (wer fährt um 7 Uhr morgens zur Uni?). Wir beobachten die letzten AT-ATs auf ihrer Mission und erzählen uns die Abenteuer der letzten Nacht. Dann gehen wir ganz legal aufs Klo.

  1. Liebevolle Bezeichnung für Security Guard ↩
  2. Die Philologische Bib ↩
  3. Lösung: Vigil ↩


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