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Von Filtern zu Fillern: Zwischen Selbstbestimmung, Risiko und Verantwortung

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In der Debatte um Schönheitseingriffe geht es immer häufiger auch um den Einfluss der Sozialen Medien. Expert*innen und Menschen, die Eingriffe haben vornehmen lassen, teilen ihre Gedanken. Von Emma Mehl.

(Westliche) Schönheit als Ware. Bild: Enya Denzel.

Riesige Augen, süße Schlappohren und eine schleckende Zunge: Weit weg sind die Tage des kultigen Hunde-Snapchat-Filters. Mit dem hat der »Bold Glamour«-Filter auf TikTok nichts mehr zu tun: Es ist praktisch unmöglich zu erkennen, ob die ultrareine Haut, die definierte Gesichtsstruktur und die vollen Lippen der Person im Video nun angeboren oder Produkt von KI-basierten Veränderungen sind. Kennzeichnen muss man die Verwendung von solchen Filtern, aber auch generell jegliche Arten von Bearbeitungen, nicht. Dass sich das negativ auf die Selbstwahrnehmung von Konsument*innen auswirken kann, ist längst belegt. Immer mehr plastische Chirurg*innen berichten, dass Kund*innen mit bearbeiteten Selfies zu Beratungsgesprächen kommen. Das sagt auch Sigrun A.. Die 26-jährige angehende Heilpraktikerin hat zusätzlich zu den Pflichtmodulen der Ausbildung Weiterbildungen für Ästhetische Medizin besucht. Dort lernt man, was die verschiedenen Wirkstoffe ausmacht, wie man sie richtig einsetzt, spritzt und welche Nebenwirkungen auftreten können. Mittlerweile übt Sigrun die gelernten Techniken an Modellen, meistens Menschen aus ihrem Bekanntenkreis. 

Dabei ist ihr wichtig, ihre Kund*innen richtig zu beraten: »Manchmal sage ich auch nein. Wenn man das gleiche Ergebnis beispielsweise auch kriegen würde, wenn man die Augenbrauen anders zupft. Oder wenn der gewünschte Eingriff bei der Gesichtsstruktur keinen Sinn macht.« Auch wenn vorher schon zu viel Filler gespritzt wurde, lehnt sie Behandlungen ab: »Ich möchte nicht, dass meine Arbeit mit so was assoziiert wird. Denn die Gefahr bei Fillern ist, dass sie verkapseln und migrieren können«. Bei Fillern handelt es sich meistens um Hyaluronsäure. Dieser Stoff ist auch natürlich im Körper vorhanden und hat die Fähigkeit, Feuchtigkeit im Gewebe zu binden. Das Ergebnis einer Faltenunterspritzung hält in der Regel vier bis neun Monate und gilt als risikoarm. Trotzdem kann es zu den von Sigrun beschriebenen Problemen kommen: Beim Verkapseln bildet der Körper sogenannte Granulome um den als Fremdkörper wahrgenommenen Stoff, wodurch die Verbreitung im Körper verhindert wird. Die sind dann als Verhärtung unter der Haut zu spüren und im Zweifelsfall auch als Knubbel zu sehen. Auch kann es passieren, dass der Filler verrutscht. So werden zum Beispiel nicht nur die Lippen voller, sondern auch der Bereich über und unter dem Mund wird gewölbt. Hyaluron kann zwar mithilfe des Enzyms Hylase aufgelöst werden, Rückstände können aber bleiben – und das sieht man.  

Warum entscheiden sich Menschen überhaupt für so einen Eingriff, auch im Hinblick auf die hohen Kosten? Eine Hyaluronbehandlung kostet zum Beispiel bis zu 600 Euro. Hier wird gesellschaftlich gerne gelästert und den Patient*innen pauschal Unsicherheit unterstellt. Sigrun ist da anderer Meinung, sie selbst hat auch schon mehrere Eingriffe machen lassen: »Ich habe ein großes Selbstbewusstsein und meine Kund*innen in der Regel auch. Ich sehe mich jeden Tag im Spiegel, ich mache es nicht für die Leute, denen ich zufällig auf der Straße begegne. Wenn ich mich so schöner fühle, warum sollte ich es nicht tun?« Die paradoxe Misogynie, die in diesen Debatten mitschwingt, ist offensichtlich: Einerseits werden weiblich gelesene Personen strukturell schlechter behandelt, wenn sie nicht dem gängigen, westlichen Schönheitsideal entsprechen, andererseits werden sie dafür verurteilt, wenn sie sich für Prozeduren entscheiden, um sich ihnen anzupassen. 

Aus Sorge um die Reaktionen anderer hat sich auch Paula M. vor ihrer Nasen-OP fast zehn Jahre Gedanken gemacht. Gerade im modernen Feminismus werde oft gepredigt, dass man sich so lieben sollte, wie man ist, sagt sie. »›My body my choice heißt für mich aber auch, dass man so eine Entscheidung für sich trifft und niemand das Recht hat, darüber zu urteilen. Genauso wie niemand das Recht hat, darüber zu urteilen, wenn man ein auffälliges Merkmal eben nicht verändert«. Die OP bereut sie heute, zwei Jahre später, nicht: »Ich würde es immer wieder tun, auch wenn es echt weh getan hat.« Sie könne nicht behaupten, dass sie die Entscheidung hundertprozentig ohne den Blick von außen getroffen hat, aber trotzdem habe es sich nach einem Schritt der Selbstermächtigung angefühlt.  

Wie wichtig ästhetische Eingriffe für das Wohlbefinden sein können, erklärt auch der Instagram-Star Gazelle in einem Video: Als trans Person fühle sie sich ganz anders als das Bild, was sie im Spiegel sieht – eine schmerzhafte Empfindung. Deswegen hat sie sich für eine Facial Feminisation Surgery entschieden. Dabei werden verschiedene Gesichtsmerkmale an das angepasst, was aus heutiger Sicht als ›weiblich‹ angesehen wird. Auch Gazelle stellt hier die Frage: »Aber was ist denn eigentlich männlich und weiblich? In diesem Kontext spielen westliche, weiße Schönheitsideale eine sehr entscheidende Rolle.« Denn was heute als normschön gilt, ist von Jahrhunderten kolonialer und rassistischer Machtstrukturen geprägt.  

Mit Normschönheit haben die Ergebnisse mancher Eingriffe nichts mehr zu tun. Sigruns Ansatz, auch mal einen Eingriff abzulehnen, wird nicht von vielen angewandt: »Denen geht es nur um’s Geld.« Viele Kund*innen würden irgendwann den Bezug zu ihrem Äußeren verlieren und nicht verstehen, dass weitere Eingriffe nicht sinnvoll seien, gerade wegen der gesundheitlichen Risiken. Die sind zwar bei Stoffen wie Botox und Fillern noch relativ gering, doch bei Schönheitsoperationen, bei denen oft nur mit Vollnarkose gearbeitet wird, sterben regelmäßig Patient*innen. Als besonders gefährlich gilt der gleichzeitig populäre Brazilian Butt Lift – kurz BBL– bei dem Fett von anderen Körperpartien ins Gesäß gespritzt wird. Das Ergebnis: Eine kurvige Silhouette, ein flacher Bauch und ein runder Po. Bei dem Eingriff stirbt laut einer Statistik eine von 3000 Patientinnen. Darüber hat sich auch Sigrun im Vorfeld ihres BBL vor drei Jahren zwar Gedanken gemacht, sich aber letztendlich doch für die Operation entschieden: »Für mich war klar, dass ich nicht mit 23 bei dieser OP sterben würde. Klar war das auch ein bisschen naiv. Aber ich hatte viel Vertrauen in meinen Arzt. Er macht diesen Eingriff jeden Tag und wurde mir von einer Freundin empfohlen. Bei ihm ist auch noch nie eine Patientin gestorben.«

Sigrun teilt ihre Arbeit auf ihrem Instagram Kanal @Roseige_official Foto: Sigrun A.

In Deutschland machte 2021 der Tod zweier Frauen Schlagzeilen, die infolge eines BBL beim selben Düsseldorfer Chirurgen starben. Er hatte unzulässige Mengen an Fett abgesaugt und wieder gespritzt. Darüber hinaus hatte er die Frauen nicht ordnungsgemäß über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt. Der Fall verdeutlicht, was in der Diskussion um kosmetische Eingriffe oft untergeht: Die Menschen, die diese Eingriffe anbieten und durchführen, tragen die medizinische Verantwortung. Dazu gehört, ihre Patient*innen über alle Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären und im Zweifelsfall auch eine Behandlung abzulehnen, selbst wenn das nicht in ihrem wirtschaftlichen Interesse liegt. In der Kosmetikindustrie steckt bekanntermaßen viel Geld. Allein mit Schönheits-OPs wurden im vergangenen Jahr/2023 weltweit etwa 15 Milliarden Euro verdient.In ihrer Jahresstatistik 2023-2024 warnt die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) vor Anbietern, die durch selbst verliehene »Expert*innentitel« eine fachärztliche Ausbildung vortäuschen. Diese würden besonders auf Instagram und TikTok mit stark bearbeiteten Bildern und Eingriffen zu Dumpingpreisen werben. Die Statistik untermauert auch, dass sich immer mehr junge Menschen durch Beiträge auf sozialen Medien in ihren Entscheidungen beeinflussen lassen. Deswegen forderten die drei großen Fachgesellschaften für plastische und ästhetische Chirurgie in Deutschland – DGPRÄC, VDÄPC und DGÄPC – eine Kennzeichnungspflicht für bearbeitete Bilder in den sozialen Medien. Dieser Antrag wurde zwar im Bundestag beraten und beschlossen, wie die Pflicht letztendlich umgesetzt werden soll, bleibt jedoch offen. »Die Fälle von Selbstwahrnehmungsstörungen nehmen weiter zu – mit teils sehr grotesken Wünschen und Vorstellungen auf Patient*innenseite«, so Alexander P. Hilpert, ehemaliger Präsident der DGÄPC und Initiator der Petition. Eine Kennzeichnungspflicht könne bei der täglichen Auseinandersetzung mit unrealistischen Körperbildern und Gesichtern helfen, das Selbstwertgefühl zu schützen und auch psychischen Erkrankungen vorzubeugen. Im November 2024 kündigte TikTok an, zumindest die Nutzung von gesichtsverändernden Filtern für Minderjährige zu sperren. »Durch Filter vergessen wir, wie wir normalerweise aussehen. Das, was man mit Filtern erreicht, ist in der Realität gar nicht möglich, auch nicht mit Eingriffen«, erklärt Sigrun. Man dürfe auch nicht vergessen, dass nicht nur Celebrities und Influencer*innen Filter benutzen, sondern auch viele private Nutzer*innen. Schlussendlich läuft es darauf hinaus, dass wir aufhören müssen, uns mit Bildern auf Social Media zu vergleichen. Und wenn man schon unbedingt Filter benutzen möchte, dann vielleicht lieber die witzigen (RIP Hunde-Filter).


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